Einleitung zu meiner Rede zu Ehren von Prof. Dr. Dr. h. c. Onur Güntürkün
Die ungekürzte Rede, die ich zur Vorstellung und Ehrung seiner Person und seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit am 21. Januar 2023 im Bochumer Kunstmuseum hielt, gebe ich hier mit zur Kennisnahme durch die Öffentlichkeit frei.
Anlässlich des Vortrags über Lernen und Gedächtnis und der nachträglichen Feier für die Auszeichnung im Jahre 2020 mit dem ERC-Preis der Europäischen Forschungskommission (der als „Europäischer Wissenschafts-Nobel-Preis“ gilt und wegen der Covid-19-Pademie 2020 nicht öffentlich geehrt werden konnte) und der Verleihung der Dankesurkunde durch die ATYG an Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Onur Güntürkün im Kunstmuseum in Bochum wurde ich von den VeranstalterInnen gebeten, eine Rede zu halten.
Ich freue mich darüber, dass diese anspruchsvolle und sehr gut besuchte Veranstaltung organisiert und verwirklicht wurde. Ich danke der Stadt Bochum, der AWO (Arbeiter Wohlfahrt), dem KI (Kommunales Integrationszentrum), der GEMI (Gemeinsam für Integration), der ATYG (AutorInnen aus der Türkei in Europa) und dem Verein DIDF (Internationaler Kulturverein Wattenscheid e.V.) dafür, mir die ehrenvolle Aufgabe der Ansprache für Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Onur Güntürkün erteilt zu haben.
Hellmut Lutz Bremen, 22.01.2023
LERNEN UND GEDÄCHTNIS
Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zum ersten Mal war ich 2003 aus einem offiziellen Anlass in Bochum. Ich freue mich, heute wieder hier zu sein und Sie alle begrüßen zu dürfen. Es ist sehr schön, dass Sie so zahlreich gekommen sind – und dass Bochum das Bundesligaspiel gewonnen hat.
Wir haben eben auf einem Rundgang durch das Museum Kunstwerke gesehen, die unsere Bewunderung erregten. Künstlerinnen und Künstler haben diese Werke aus dem wundervollen, unsichtbaren Wirken unseres menschlichen Geistes erschaffen. Wie sind derartige kreative Akte möglich? Gibt es darauf Antworten?
Ich habe die große Ehre, im Namen der ATYG, der Gemeinschaft von AutorInnen aus der Türkei in Europa, Sie, Herrn Professor Dr. Onur Güntürkün, mit einem herzlichen „Aramıza hoş geldiniz” willkommen zu heißen. Wir sind heute zusammengekommen, um Sie, Onur Bey, für Ihre wichtige Arbeit und Ihre bedeutenden Erkenntnisse auf dem weiten Feld Ihrer Forschungen zu ehren.
Zuvor darf ich uns allen ein wenig berichten über Ihr bemerkenswertes Leben. Denn ich bin gebeten worden, über Sie und Ihre Forschungen zu sprechen. Wegen der knappen Zeit muss ich mich kurz fassen. Ich hoffe, dennoch Ihnen im Großen und Ganzen gerecht zu werden.
Ihre Mutter, die Lehrerin Sahavet Hanım und Ihr Vater Dr. Hulusi Bey – sie mögen in Frieden ruhen – freuten sich im Juli 1958 in Izmir über Ihre Geburt. Mit Ihrer älteren Schwester Nur hatten Sie in den ersten drei Lebensjahren eine unbeschwert glückliche Kindheit. Ein unerklärlicher, sehr schwerer Anfall von Kinderlähmung riss Sie als Vierjährigen buchstäblich von einem Tag auf den nächsten aus dieser Lebensbahn. Dank großer ärztlicher Kunst, pflegerischer Sorgfalt und geduldiger Hingabe und Sorge Ihrer unermüdlichen Eltern für Ihr seelisches und körperliches Wohl wurde Ihr Leben gerettet. Es stellte sich aber damals heraus, dass für Sie im Kindesalter die Möglichkeiten für eine umfassend erfolgreiche Therapie in der Türkei trotz aller Anstrengungen nicht ausreichten.
Sayın Onur Bey, Ihre Eltern entschieden sich, Sie in die erfahrenen Hände der Ärzte und Ärztinnen der Weserbergland-Klinik in Höxter zu geben. Ihre Rehabilitation gelang so weit, dass Sie im Rollstuhl fahren und mit Ihrer Situation und mit sich selber umzugehen lernten. Zu Ihrer Genesung trugen Sie selber wesentlich bei, indem Sie die physiotherapeutischen Maßnahmen und ärztlichen Ratschläge pflichtbewusst befolgten. Wir ahnen, wie tapfer Sie, der kleine Junge, anfangs in diesem fremden Deutschland hatten sein müssen, welche Kraft Sie hatten entwickeln müssen: In der großen Klinik ohne jede Kommunikation in Ihrer Muttersprache und ganz und gar ohne Deutschkenntnisse mussten Sie zurechtkommen. (Sie lernten aber sehr schnell Deutsch.) Ohne Spiel, Sport und Austausch mit Ihren gleichaltrigen Schulkameraden und ohne die unmittelbare Nähe und Zuwendung Ihrer eigenen Familie waren Sie auf sich selbst gestellt.
Ihre angeborene, große und vielseitige Wissbegierde half Ihnen bei der Heilung, und so erforschten Sie schon als kleiner Junge Würmer und Schmetterlinge, Käfer, Spinnen und – Vögel. Als Schüler machten Sie schon Beobachtungen und Experimente. Sie verdienten sich Ihr erstes Mikroskop für 36,50 DM durch vielfältige Dienste in Mutters Küche. Ihre Schulzeit in der Türkei und Ihr Studium in Deutschland beendeten Sie sehr erfolgreich. Sie beteiligten sich an Wettbewerben und Forschungsprojekten, deren wissenschaftlich brauchbare Ergebnisse allgemeine Aufmerksamkeit erregten und Ihnen erste Medaillen brachten. Da konnten Sie es als junger shooting star am Forscherhimmel sogar verschmerzen, dass Ihnen in San Diego, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der Versuch des preiswerten Erwerbs eines PKWs völlig misslang. Ihre Frau Monika war zu dieser Zeit schon der gute, Stärke und Freude gebende Geist, der Sie nun so viele Jahre schon begleitet durch alle Tiefen und Höhen des Lebens. Auch ihr gilt unser herzlicher Dank!
Sie sagen über Ihre Arbeit Folgendes (Ich darf Sie zitieren.): “Alle diese forschenden Aktivitäten unternehme ich nicht, um den Menschen beständig zu helfen und die Kranken zu heilen! Die Ergebnisse meiner Forschung, die wissenschaftlichen Erkenntnisse bereichern das Leben der Menschen; sie können zum Nutzen der Menschen, zur Heilung von Kranken eingesetzt werden. Wenn das geschieht, so freut mich das ganz besonders. Wenn ich aber sagte, dass ich deswegen forsche, so wäre das eine Lüge. Mein eigentliches Ziel heißt w i s s e n. Mein wissenschaftliches Arbeiten, meine Forschungen betreibe ich wegen meiner grenzenlosen Wissbegier. Ohne diesen Drang, ohne diese Besessenheit gibt es kein Wissen, keine Erkenntnis.”
Diese Lust, zu erkennen und zu verstehen, was die Welt treibt und im Innersten zusammenhält, sie ist es, die Sie, Doktor Güntürkün, befähigt und drängt, immer mehr Arten und Ausdrucksweisen des biologischen Wesens und des geistigen Seins von uns Menschen zu untersuchen und für uns verstehbar und nutzbar zu machen. Sie legen großen Wert auf interdisziplinäre Zusammenarbeit der Geistes-, der Natur- und der Gesellschaftswissenschaften. Einer Ihrer wesentlichen Beiträge zu unserem sozialen Wohl ist, dass wir uns als aufgeklärte Mitglieder der Menschheit umfassender begegnen, kennen und erkennen lernen.
Ihre Forschertätigkeit führte Sie auf alle Kontinente rund um den Globus; Ihre so zahlreichen Auszeichnungen sagen uns, wie hoch Sie und Ihre Arbeit in vielen Ländern der Welt geschätzt werden. Ich erlaube mir, stellvertretend für alle Universitäten, an denen Sie arbeiteten, die von Queensland in Brisbane, die von California in San Diego und die von Istanbul zu nennen. Geehrt wurden Sie unter anderem mit dem ruhmreichen Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis, der Großen Verdienstauszeichnung des Türkischen Parlaments und dem bedeutenden Alfried-Krupp-Förderpreis. Im Jahr 2020 erhielten Sie, der Ordinarius auf dem Lehrstuhl für Biopsychologie der Ruhr-Universität Bochum, den Großen Preis der Europäischen Forschungs-Kommission (ERC), der quasi wie ein “Nobelpreis” unter den großen europäischen Auszeichnungen angesehen wird. Wegen Covid-19 fand damals keine Ehrung für Sie statt; sie wird heute nachgeholt.
Herr Prof. Dr. Güntürkün, die Zusammenhänge zwischen Lernen und Denken, Gedächtnis und Sprache, über diese wunderbaren Fähig-keiten, diese einzigartigen Schätze, die uns Menschen auszeichnen, werden Sie jetzt mit uns sprechen. Wir danken Ihnen ganz herzlich dafür und freuen uns auf Ihren Vortrag.
Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Geduld und wünsche uns allen einen interessanten, erkenntnisreichen Abend.
Bochum, 21.01.2023, Hellmut Lutz